Dienstag, 15. April 2014

Unfreie Rebellen – über die Polemik und Wortwahl in linken Zeitungen


Auf der Leipziger Buchmesse bekam ich allerhand Zeitungen, Magazine und Flyer ungefragt in die Hand gedrückt. Man sagt brav danke, wechselt vielleicht noch ein kurzes Wort mit dem Verteiler und versucht dann seinen Weg fortzusetzen. Zuhause schaut man dann den großen Stapel an mitgenommenen Zeitungen durch und entdeckt vielleicht viel Neues und Interessantes, innovative Zeitschriften mit intellektuellen Themen statt dem Mode-Schminktipps-Einheitsbrei, Literaturmagazine mit Leseproben der neuesten Bestseller oder kostenlose Probezeitungen von bekannten und beliebten Zeitungsverlagen. Und dazwischen schlummern immer wieder auch diese Dinge, die bei den meisten gleich in der Rundablage landen: Politisches Werbematerial. Ich rede hier nicht vom Stand des Bundestages, der jedes Jahr unaufdringlich Karten von Deutschland auslegt, die man sich freiwillig mitnehmen kann. Ich rede hier von stark linksgerichteten Zeitungen, die einem möglichst in der Mitte des Ganges in die Hand gedrückt werden, obwohl man gerade den Stand auf der gegenüberliegenden Seite anschaut oder mit Blick auf den Messeplan nach dem Weg sucht. Diese Zeitungen suchen hier nicht etwa nach Lesern oder nach „Kämpfern für die gute Sache“, sondern nach neuer Wählerschaft.
Die Artikel greifen aktuelle Themen auf: „Fukushima“ oder „Giftmüllskandale“, „Gleichstellung der Frau“ oder „Solidarität mit der Ukraine“. Und wenn man sie liest, hat man das Gefühl, das sie genau das ausdrücken, was irgendwie alle sagen oder denken: warum leiten die Japaner ihr atomares Kühlwasser ins Meer? Gifte im Trinkwasser, das möchte ich auch nicht, ja, als Frau verdient man ja immer noch weniger, als die Männer in gleichen Positionen, schön, dass mal jemand was dagegen macht oder Warum schießt eigentlich jemand auf die friedlichen Demonstranten am Rand der Proteste in der Ukraine?
Schaut man tiefer und analysiert man diese Texte sprachwissenschaftlich, so sieht man zunächst eine sehr subjektive Berichterstattung. So wird im Zusammenhang mit der Arbeit von Soldaten grundsätzlich von „Mord“ gesprochen, beim Thema Umwelt in vielen Artikeln von „Sauerei“. Bei einigen Themen werden bewusst nicht aktuelle, sondern schon lange widerlegte Quellen herangezogen und als aktuell dargestellt, um ein bestimmtes Bild zu vermitteln. In einer Kurzzusammenfassung über den Ursprung der „Unterdrückung und Ausbeutung“ der Frau die prähistorische Rollenverteilung im Umbruch von Ackerbau und Viehzucht vorzubeten und schließlich zu verweisen auf Schriften von Marx und Engels ist nicht nur nicht mehr zeitgemäß, sondern wissenschaftlich längst überholt.
Die Polemik ist durchgehend auf Hass schüren und Kämpfen eingestellt, denn wer rebellieren möchte, benötigt ein Feindbild. Man will bewusst Unzufriedenheit schaffen, statt auf Unrecht hinzuweisen, man will mit Berichten über Bücher berühmter (toter) Rebellen bewusst ein Menschenbild schaffen, was den Kommunisten des 19. Jahrhunderts als ruhmreichen Sieger darstellt und es als statthaft ansieht, diesem Vorbild zu folgen. (Was uns das gebracht hat, sehen wir an 40 Jahren „Knast“ im Osten Deutschlands.) Dies wird zudem noch unterstrichen durch eindeutig sozialistisch-linke Wortwahl. Eine Auswahl: Jungarbeiter, neofaschistische Organisationen, Kapitalisten, herrschende Klasse, werktätige Massen, Revolution, Kampf der Arbeiter, Privilegierung, Befreiung der Frau, erkämpfen, den echten Sozialismus aufbauen, Zentralkomitee, Rebellen als „Vorbilder“ für Kinder, Kampftag, Kampf für den Sozialismus, usw.
Die Themen sind aktuell, sie sind bewusst gewählt weil sie die Bevölkerung gerade verärgern, sie sind bewusst reißerisch verfasst, um eine Meinung aufzubauen und sie enthalten bewusst unterschwellige Botschaften, die fast ausschließlich durch Wortwahl transportiert werden. Man soll aufgewiegelt werden beim Protest mitzumachen. Protest ist nichts falsches, aber Protest sollte kein Mittel sein, ein Menschenbild und vor allem Feindbild zu verbreiten, was nicht nur nicht in unsere heutige Zeit passt, sondern auch durch falsche Fakten gestützt wird. Protest sollte nicht basieren auf nichtexistenten und durch Polemik geschaffenen Problemen.
Das Problem, was durch solche Zeitungen mit dieser Polemik und Wortwahl entsteht, ist ein viel gravierenderes: Sie schaffen sich Stück für Stück Marionetten. Das Problem, was als Thema aufgegriffen wird, ist zwar da, aber die Recherchearbeit entweder schlecht oder absichtlich in eine bestimmte Richtung treibend. Einige Fakten werden bewusst übergangen oder verschwiegen. Dadurch wirken die Beiträge einseitig. Wer allseitig und objektiv informiert sein will, sollte andere Zeitungen wählen. Was diese Zeitungen aber bewirken, ist dass ein komplettes Parteiprogramm (auch mit seinen teilweise unrealistischen Zielen) salonfähig gemacht wird durch die bewusste Hervorhebung realistischer Ziele und Proteste, die die Massen ansprechen. Unentschlossene sehen nur die Oberfläche und werden durch ebensolche Zeitungen beeinflusst dieser Partei, dieser Meinung Vertrauen zu schenken und sich fortan „nicht durch andere Medien beeinflussen“ zu lassen. Wer irgendwann der Propaganda glaubt, dass „die anderen nicht die ganze Wahrheit“ schreiben, dass nur diese Zeitung und nur diese Partei „die Wahrheit sagt“ der verzichtet irgendwann auch darauf sich wirklich allseitig umzusehen und sich nach Hintergründen und aktuellen Fakten zu erkundigen. Und wer sich nicht mehr selbst aufmacht und sich sein eigenes Bild von der Welt macht mit ALLEN Medien, die ihm zur Verfügung stehen, der verliert nicht nur bald den Anschluss an die reale Welt, sondern wird zu einem Roboter, der monoton das nachbetet, was die Zeitung (oder dann die Partei) ihm vorgibt.
Deshalb: Lesen der linken Zeitungen ist nichts per se schlechtes. Im Gegenteil. Man soll ja genau alle Nuancen der Welt kennen lernen, aber man sollte sich nie nur auf ein bestimmtes (oder gar politisch eingefärbtes) Medium verlassen, sondern sich immer selbst umsehen nach Meinungen und Fakten. Nicht der Rebell ist frei, sondern der selbst denkende Mensch.



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