Nach den Wahlen am 27.9.2009
veröffentlichte das Institut Infratest dimap eine Umfrage zur Wahl, in der es
die Umfrageteilnehmer zu ihrer Konfession befragte. Die ev.-lutherische
Wochenzeitung „Der Sonntag“ hat in der Ausgabe 40 vom 4.10.2009 einen Artikel
dazu veröffentlicht, aus dem ich die folgenden Umfrageergebnisse entnahm:
Wähler der CDU/CSU sind
mehrheitlich katholisch. (31% ev., 46 % kath., 22% konfessionslos)
Wähler der SPD mehrheitlich evangelisch. (29% ev., 18% kath.,
21 % konf.-los)
Wähler der FDP setzen sich zu gleichen Teilen aus
evangelischen, katholischen und atheistischen Menschen zusammen. (15% ev., 15%
kath., 13 % konf.-los) Ebenso verhält es sich bei den Grünen. (11% ev., 9% kath., 13 % konf.-los)
Wähler der Partei Die Linke sind mehrheitlich konfessionslos.
(9% ev., 6% kath., 23 % konf.-los)
Insgesamt nahmen an der Umfrage
32% ev., 34% kath. und 25 % konfessionslose Wähler teil.
Diese Analyse fand ich sehr
interessant. Ich hatte noch nie vorher davon gehört, dass eine solche Umfrage
existiert bzw. überhaupt gemacht wird. Sonst werden doch grade in der Wahlzeit
alle möglichen Wahlstatistiken ausgewalzt, bis man nichts mehr aus ihren
herausziehen kann, doch diese tauchte bisher nirgendwo auf. Wieso? Wovor hat
man Angst? Oder zeigt diese Statistik etwas, was die Bürger (nach Meinung der
Zeitungen) nicht erfahren sollen? Ich beschloss dem Thema weiter nachzugehen.
Die Literatur, die sich im
Internet zur Kombination Wahl und Konfession finden lässt, ist gering, aber
dafür um so prägnanter.
Adolf Kimmel hat in Quelle 1 eine
umfangreiche Analyse zum Wahlverhalten der deutschen Bürger in vier
verschiedenen Staatssystemen vorgenommen.
Er stellt dabei fest, dass in
Deutschland die Konfessionszugehörigkeit beim Wahlverhalten immer noch eine
große Rolle spielt und zwar eine viel größere als die Klassen- bzw.
Schichtenzugehörigkeit, die weithin als wahlentscheidend angenommen wird. Ich
möchte hier seine Ausführungen kurz zusammenfassen:
Schon bevor sich in der
Industrialisierung Klassengegensätze herausbildeten, gab es einen tiefen Graben
zwischen katholischen und evangelischen Christen, die Kirche war für das Leben
vieler eine wichtige Instanz, die auch politisches Verhalten bestimmte.
Nach 1871 waren die Katholiken in
einer deutlichen Minderheit und bildeten geschlossene, „sich nach außen
abgrenzende, katholische Milieus“, die sich in Vereinen und in der „Deutschen
Zentrumspartei“ organisierten. Der Zusammenhalt war groß. Bei den Evangelen gab
es so etwas nicht. Sie waren in vielen Bereichen dominant und wählten
dementsprechend verschiedene Parteien – nur nie die Zentrumspartei.
Die Kirchlichkeit war über die
Jahre hinweg bei den Katholiken ein Grund gewesen „Ihre“ Partei zu wählen, bei
den Protestanten wirkte sich die Mitgliedschaft in der Kirche in keiner Weise
auf das Wahlverhalten aus, hier waren es andere Faktoren, die ausschlaggebend
waren. In den Wahlen 1932 zeigte sich das besonders. Die NSDAP-Wähler kamen
mehrheitlich aus dem Reihen der kirchenfernen Protestanten und Konfessionslosen,
die Katholiken wählten eisern „ihre“ Zentrumspartei. Das lag nicht an ihrer
festen demokratischen Gesinnung, sondern weil man eben immer „Zentrum“ wählte.
(Hier verweist der Autor von Quelle 1 auf eine umfangreiche Untersuchung von
Jürgen Falter.)
Nach dem zweiten Weltkrieg kam es
zwar regional in Deutschland zu einer konfessionellen Durchmischung, dennoch
gliedert sich Deutschland weitgehend in den eher protestantischen Norden, den
eher katholischen Süden und den „inzwischen überwiegend konfessionslosen
Osten“.
Durch die deutsche Teilung war
die Minderheitensituation der Katholiken spätestens 1976 endgültig beendet. Das
katholische Milieu blieb zwar, aber der die klaren konfessionellen Trennlinien
bauten sich parallel zu den Kirchenaustritten ab. Die neugegründete
überkonfessionelle, christliche CDU/CSU wurde sofort von den Katholiken als
Zentrums-Nachfolger akzeptiert, bot nun aber auch für die Protestanten eine
Wahl-Option. Wobei die Protestanten die Unionsparteien nicht aus religiösen Gründen
wählen, sondern aus politischen oder sozialen, im Gegensatz zu den Katholiken,
bei denen das Milieu immer noch eine hohe politische Mobilisierungskraft besaß.
So viel zu dem Text von Adolf
Kimmel.
Die anfangs aufgeführte Umfrage
von infratest dimap bestätigt diese Tendenzen auch heute noch. Der katholische
Süden wählt CDU/CSU, der protestantische Norden SPD und der eher
konfessionslose Osten SPD oder Die Linke. Etwas hat sich aber doch verändert:
Der Anteil der Katholiken, die regelmäßig zur Messe gehen. Diese Entwicklung
ging auch an den Wahlergebnissen nicht spurlos vorüber. Eine verbindliche
katholische Wahlnorm gibt es nicht mehr. Dass die CDU/CSU ihre Wahlergebnisse
dennoch halten kann, verdankt sie politischen Faktoren, die ihr einen
Stimmgewinn bei den Protestanten und Konfessionslosen einbringen. Auf der
anderen Seite wirkt sich die Prägung als „kirchliche Partei“ immer noch aus,
auch wenn die Kirchlichkeit mittlerweile geschwunden ist.
Kimmel erklärt die Wahlergebnisse
der Union über den konfessionellen Faktor: In den neuen Ländern gibt es nur 5 %
Katholiken, dagegen zwei Drittel Konfessionslose (in den alten Ländern nur 8%
Konfessionslose). Die Wiedervereinigung hat also vor allem die Union stark in
ihrer strukturellen Mehrheit geschwächt. Auch wenn die konfessionsgebundenen
Wähler der Union von zwei Drittel auf ein Drittel gesunken sind, ist der Faktor
Konfessionszugehörigkeit ein sehr starker Faktor, der viel mehr Einfluss auf
das Wahlverhalten hat, als wir alle denken.
Was kann das für die Zukunft bedeuten?
Mit steigender Säkularisierung
und der sinkenden Kirchlichkeit sinken die Wählerzahlen der konfessionell
gebundenen Wähler, die vor allem in Union und SPD eine große Mehrheit
ausmachen. Perspektivisch könnte man annehmen, dass die Ergebnisse dieser
beiden großen Parteien bald sinken müssten, wenn sie kein eigenes Profil für
Nichtkonfessionelle erstellen.
Vergleicht man die Statistiken
von 1990 und 2009, so sank der Prozentsatz der Katholiken, die Union wählen um
12 %, derjenige der Katholiken, die SPD wählen immerhin um 6 %. Parallel dazu
sank der Anteil der Protestanten, die Union wählen um 7 %, derjenige der
Protestanten, die SPD wählen um 12 % (vgl. Quelle 2).
Sehr spannend in diesem
Zusammenhang ist auch, dass 2009 40 % der Wähler der CDU und 30 % der Wähler
der SPD über 60 Jahre alt waren. Das bedeutet, dass diesen beiden großen
Parteien über kurz oder lang ihr Wählerstamm wegstirbt. Im Vergleich zu 1998
hat die CDU aber ihre Menge an 60+ Wählern gehalten, während die SPD ganze 10 %
der Rentner als Wähler verloren hat.
Fakt ist, dass die Union sich
seit 1945 stark gewandelt hat, von einer zuerst eher konfessionellen zu einer
politischen Partei. Viel am Programm hat sich verändert. Den Gewohnheitswähler
interessiert das politische Programm aber wahrscheinlich nur mäßig. Aber gerade
das ist ja entscheidend. Demzufolge erzählen eigentlich nur die Ergebnisse bei
den unentschlossenen Wählern wirklich, welche politischen Ziele im Volk
wirklich Anklang finden und welche nicht. Das Volksinteresse lässt sich
eigentlich nicht an den Wahlentscheidungen der Gewohnheitswähler festmachen.
Quelle 1: Kimmel, Adolf:
Konfession und Wahlverhalten in Deutschland. In: Themenportal Europäische
Geschichte (2008), URL: http://www.europa.clio-online.de/2008/Article=359.
Abruf: 7. April 2014
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