Deutschland jubelt
nach dem 4:0-Sieg in der Vorrunde der Fußball-WM gegen Portugal. Wir alle
freuen uns, wenn Deutschland weiterkommt. Und doch hat die WM in Brasilien
einen bitteren Beigeschmack. Die Favelas, die Armenviertel Brasiliens sind
Schauplatz brutaler Gewalt. Diese geht einerseits aus von den Gangs der
Viertel, die sich nun verstärkt zeigen, andererseits von Armee und Polizei, die
diese Armenviertel schwer bewacht, nach außen abschirmt, teilweise räumen lässt
und dem Mord an einer Polizistin auch immer häufiger Razzien durchführt, die
blutig eskalieren. Das alles passierte bereits im Februar
und hat sich bis heute aufgeheizt.
Seit einigen Monaten finden daher nun immer wieder große
Protestdemonstrationen gegen die WM statt. Diese richten sich einerseits gegen
die ausufernden Kosten der WM (dreimal so viel, wie ursprünglich veranschlagt),
andererseits gegen die Brutalität, mit der die Polizei in den Favelas agiert.
Diese Proteste schlägt die Polizei mit Tränengas und Gewalt nieder, was neunen
Unmut hervorruft. So schaukelt sich die Gewaltspirale nach oben.
Weitere Protestgruppen sind die Angestellten des öffentlichen Diensts,
wie z. B. die U-Bahn-Mitarbeiter. Sie streiken für höhere Löhne. Und dann ist
da natürlich noch die indigene Urbevölkerung Brasiliens, die seit Jahren in
immer kleinere Reservate zurückgedrängt wird und nun ihre Chance sieht eine größere
Rückendeckung für ihre Interessen zu finden. Auch die „Bewegung landloser
Arbeiter“ wittert jetzt ihre Chance im Angesicht der Milliardenausgaben für die
WM (ca. 10
Mrd. Euro) von der Regierung ein verstärktes Engagement beim Wohnungsbau
zu fordern.
Die Brasilianer schwanken zwischen Begeisterung für ihre Elf und wünschen
sich den Titelgewinn, missbilligen aber die Umstände. Schulen, Nahverkehr,
Krankenhäuser, überall mangelt es an ordentlichen Gebäuden und guter Infrastruktur.
Dass die WM dem Land viel bringen kann, glaubt in Brasilien fast keiner mehr,
auch die Statistiken
sprechen gegen diesen Glauben. Und es geht auch um Gerechtigkeit gegenüber den
Ureinwohnern und gegen Korruption und Willkür in der Politik. Die meisten
brasilianischen Fußballer haben sich nun hinter diese Proteste
gestellt.
Vor 12 Jahren ging es Brasilien noch weitaus schlechter. Die Armutszahlen
sind seitdem gesunken, das Durchschnittseinkommen hat sich deutlich gesteigert,
die Lebenserwartung stieg um mehrere
Jahre. Es geht hier eher um nicht erfüllte Erwartungen und man hat einen
politisch günstigen Zeitpunkt. Brasilien will den wirtschaftlichen Aufstieg und
radikale Verbesserung der Lebensbedingungen. Die WM gibt weltweite Aufmerksamkeit
und dieses Jahr sind Präsidentschaftswahlen in Brasilien. Doch das gesamte
politische System ist mit den Protesten und dem öffentlichen Schrei nach
Transparenz und Demokratie überfordert und reagiert auf seine Weise: 100.000
Polizisten, 57.000 Soldaten und 20.000
private Kräfte sind während der WM im Einsatz.
Und Deutschland? Sicher geben die
Proteste auf der anderen Seite des Erdballs der WM einen faden Beigeschmack,
aber die Probleme der Brasilianer scheinen hier kaum jemanden zu interessieren.
Der Durchschnittsdeutsche hat auch andere, eigene Probleme. Was schenkt man den
Kindern zu Weihnachten, wenn kein Geld da ist? Wie soll man mit kaputtem Auto
in den Urlaub fahren? Das Jobcenter erlaubt keinen neuen Herd. Die Bahn kommt
immer unpünktlich. Die Deutschen werden immer dümmer und das Niveau an den
Schulen sinkt. An den Universitäten gibt es nicht genug Lehrkräfte und die
Bibliotheken sind schlecht ausgestattet. Was gibt es da nicht alles zu jammern.
Deutsche können gut jammern. Wir jammern auf hohem Niveau. In Brasilien haben
die Armen in den Favelas keine Sozialhilfe und keine Krankenversicherung. Sie haben
jahrelang nicht gejammert. Jetzt sehen sie ihre Chance Druck zu machen. Manchmal
kann man mit etwas Aufmerksamkeit und Solidarität an der richtigen Stelle viel
verändern. Man muss nicht immer Geld schicken – was bei korrupten Staaten eh nicht
viel bringt. Sensibilisiert euch ein bisschen für die Probleme vor Ort. Denn
die WM ist nicht nur Schwarz und Weiß, auch denn das die Trikotfarben der
deutschen Mannschaft sind.
Bildnachweise: http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/wp-content/uploads/2014/05/PAULO_ITO_WANDBILD-594x600.jpg
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