Dienstag, 14. Oktober 2014

Bitte Recht verständlich! – Wie man Gesetze verständlich macht – eine Bilanz



Am 8. Oktober 2014 um 18:30 Uhr lud das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz in der Mohrenstraße in Berlin interessierte Bürger ein zu drei Impulsvorträgen mit anschließender Diskussion zum Thema:

MACHT POLITIK SPRACHE ... verständlich?

Kann man Gesetze und Amtsschreiben „leichter“ machen?

Da ich mich als Sprachwissenschaftlerin schon in meiner Magisterarbeit mit diesem Thema beschäftigt hatte und mich das Thema nach wie vor interessierte, bin ich natürlich extra nach Berlin zu dieser Veranstaltung gefahren.
Wir alle kennen das: Gesetze und Amtsschreiben sind oft sehr schwer verständlich. Doch vor einiger Zeit kam Bewegung in die Sache. Es gründeten sich Initiativen und Arbeitsgruppen, Redaktionsstäbe und Forschungsgruppen, die es sich zum Ziel gesetzt haben solche Texte für den Einzelnen verständlicher zu machen. Der Bürger soll also nicht mehr nur Rechtsunterworfener sein. Mit verständlichen Rechtstexten soll jedem einzelnen Bürger die Teilhabe am Rechtsstaat ermöglicht werden. Was das konkret für Projekte sind, was man in den letzten Jahren erreicht hat und was die nächsten Ziele sind, wurde in der Veranstaltung der Deutsch 3.0-Reihe des Goetheinstituts thematisiert.

Aus verschiedenen Blickwinkeln betrachteten drei Referentinnen das Thema:

Sandra Grohmann, Richterin am Kammergericht Berlin
„Wenn Sie sich scheiden lassen wollen, müssen Sie das Gericht anrufen“
Oder: Brauchen wir Dolmetscher für Amts- und Gerichtsdeutsch?

Stephanie Thieme, Leiterin des Redaktionsstabs Rechtssprache beim Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz
Bitte Recht verständlich! - Die Gesetzesredaktion für die Bundesregierung

Prof. Dr. Christiane Maaß, Leiterin der Forschungsstelle Leichte Sprache der Universität Hildesheim
Lesen und Verstehen: Leichte Sprache in der Verwaltungskommunikation

Oft reden die Juristen untereinander in einem völlig unverständlichen Fachjargon und wollen damit ihre Fachkenntnis suggerieren. Ob dieser Jargon nur Angeberei ist oder Vertrauen signalisieren soll ist dabei völlig egal. Fakt ist, dass er nicht notwendig ist. Sicherlich benutzen Juristen gerne solche Floskeln, wie Verfügung von Todes wegen oder anheimstellen. Um sich verständlich auszudrücken, müssen Juristen sich zusammenreißen und festgefahrene Sprachwege verlassen. Das ist Arbeit. Deshalb setzt sich Frau Grohmann dafür ein, dass eine gute und verständliche Sprache Teil der juristischen Ausbildung wird, damit Studenten gar nicht erst in Versuchung kommen, sich solche hochtrabenden Floskeln anzugewöhnen. Am Kammergericht hat sie mit einer Arbeitsgruppe bereits die Rechtsbehelfsbelehrungen verändert. Der Anspruch ist auch, dass Begründungen der Urteile für alle Anwesenden verständlich sind. Ein nächstes Projekt ist die verständlichere Gestaltung der Webseite.

Häufig geben die Juristen aber nur das wieder, was in den Gesetzen steht. Dass Gesetzestexte oftmals sehr verklausuliert klingen und äußerst verschachtelt sind, bekommen wir anhand zahlreicher Beispiele an diesem Abend häufig zu hören. Und auch Juristen geben mittlerweile offen zu, dass sie einige Gesetze nicht mehr verstehen. Bestehende Gesetze zu ändern ist eine Sache. Um sprachliche Richtigkeit und verständlichen Satzbau bei zukünftigen Gesetzen kümmert sich der Redaktionsstab Rechtssprache beim BMJV, den Frau Thieme leitet. Die 8-köpfige Gruppe achtet auf klaren Satzbau, korrekte Bezüge, inhaltlich schlüssige Gliederung, logischen Aufbau, richtige Wortwahl und natürlich auch Grammatik und Rechtschreibung. Mittlerweile werden von den erst skeptischen Juristen ca. 75 % der Vorschläge angenommen. Dennoch wird beklagt, dass die Beteiligung meistens viel zu spät im Gesetzgebungsprozess erfolgt und, dass die Beteiligung der Sprachprüfung durch den Redaktionsstab immer noch viel zu selten in Anspruch genommen wird. Ein Abbau der Vorbehalte bei den Juristen wird also auch in Zukunft ein wichtiges Ziel bleiben.
Besonders Menschen mit Lernbehinderung, geistiger Behinderung oder paralingualer Hörschädigung, sowie funktionale Analphabeten oder Migranten haben Probleme Schreiben vom Amt zu verstehen. Harte Strafen oder finanzielle Schäden können die Folge sein. Für diese rund 20 Mio. Menschen in Deutschland muss es laut Behindertengleichstellungsgesetz und Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung dennoch möglich sein, Amtsschreiben zu verstehen. Deshalb hat sich an der Uni Hildesheim eine Forschungsgruppe um Frau Prof. Maaß gebildet, die schwierige Amtstexte in „Leichte Sprache“ umformuliert. Als Varietät des Deutschen kommt Leichte Sprache mit kleinem Grundwortschatz, kurzen Sätzen mit nur einer Aussage, ohne Nebensätze, ohne Kommas, ohne Genitiv, ohne Präteritum oder Futur und ohne Personalpronomina der dritten Person aus. Der Ausgangstext bleibt dabei erhalten. So wurden zuletzt Informationsbroschüren zum Thema Erbrecht und zum Thema Vorsorgevollmacht herausgegeben. Weitere Informationstexte sind in Arbeit.
Angesichts der großen Notwendigkeit verständlicher Gesetzestexte und Amtsschreiben verwundert mich, dass der Bund der Steuerzahler diese Arbeit für den Bürger, die von vielen Bürgern gewünscht wird, als unnötige Steuerausgaben verunglimpft. Anhand von alltäglichen Beispielen, wie der Verwechslung von vierzehntäglich und vierzehntägig sieht man, dass Juristen häufig nicht den fachlichen Kenntnisstand eines ausgebildeten Germanisten haben, der solche Unterschiede kennt und als Fehler im Text erkennt. Auch Bezugsfehler sind an der Tagesordnung. Die Frage nach der Notwendigkeit eines nichtjuristischen und sprachlich geschulten Dienstleisters, der aus Sicht eines juristischen Laien auf die Texte schaut, stellt sich also nicht. Die Notwendigkeit ist ganz klar gegeben. Es ist ein wichtiger Schritt gewesen die Bürger an diesem Abend in Berlin über die Arbeit an der Verständlichmachung von Gesetzen und Amtstexten zu informieren. Wenn das Verständnis und die Unterstützung für diese Arbeit in der Bevölkerung da ist, wenn Bürger ihre Rechte auf verständliche Texte einfordern, dann werden vielleicht auch bald die Juristen diesem Druck nachgeben und der Spracharbeit eine größere Bedeutung beimessen. Nur so kann es in Zukunft bessere und verständlichere Gesetzestexte und Amtsschreiben geben.

 
Übertragen in die Praxis:


Antworten auf Alltagsfragen einfach und verständlich erklärt (ALG-Formulare):
Selbstständigkeit und so

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