Es
war Sommer. Es war heiß und dann sah ich im Bus-Fernsehen die Schlagzeile des
Tages. Man hatte ein Buch entdeckt. Inmitten einer Bibliothek. Ein berühmtes
Werk. Ein sehr altes Werk. Nuja, nicht das ganze Buch, eher ein Fragment. Der
Parzival. Aus dem 13. Jahrhundert.
Die
Kurzzusammenfassung war übertitelt mit:
Sensationeller Fund in der Leipziger Unibibliothek
Als
ich die Schlagzeile vor etwa einem halben Jahr las, bin ich ja wirklich fast
aus den Latschen gekippt.
Nein,
die Sensation das Buch, war nicht hier
sondern
hier
gefunden
worden.
Was
sich fast anhört, wie die ironische Zusammenfassung einer Lehrerin über die
Schülerreaktionen ihrer siebten Klasse beim Schulausflug in die Stadtbibliothek,
ist in Wahrheit eine kleine Sensation.
Rasch
stellte sich heraus, dass dieses Pergamentfragment die älteste Abschrift des Parzival
von Wolfram von Eschenbach ist. Ein mittelalterliches Buch über einen Ritter
auf einem Roadtrip, in dem der heilige Gral entdeckt, mehrere Schlachten
nacherzählt und 14 Liebesgeschichte enthüllt werden – für alle, die mit dem
Titel nichts anfangen können.
In
der Presse kam es zwar überall so rüber, als hätte man das Buch in der
Leipziger Unibibliothek gefunden. Das stimmt aber gar nicht.
Gefunden
wurde das 800 Jahre alte Buch - pardon, das Pergament - nämlich in der
Domstiftsbibliothek Naumburg (Quelle 1). Man hatte den Ursprungstext in
Streifen geschnitten und als Buchbindematerial genutzt (Quelle 2). In Leipzig
wurde nach mehrmonatiger Untersuchung dann festgestellt, dass es sich
tatsächlich um die älteste Abschrift
des Parzival handelt. Da das Original des Buches verschwunden ist, hofft
man immer möglichst alte Abschriften zu finden – dies ist die bislang Älteste.
Ich
bin ein Mensch, der alte Bücher mag. Es schmerzt mich zu sehen, wenn alte
Bücher zerstört werden – Bücher überhaupt – denn es könnte ja immer das letzte
seiner Art sein. Wissen muss gespeichert werden. Aber auf der anderen Seite
sind das 25 Verse von 25-tausend Versen und zweitens wird das komplette Buch
(zwar nur in einer Abschrift, aber immerhin) für 12 Geld beim ZVAB
verkauft. Welche wichtigen Erkenntnisse sich jetzt ausgerechnet aus diesem
Schnipsel ziehen lassen, mag dahingestellt sein.
Viel
interessanter ist die Tatsache, wie es dazu kommen konnte.
Sicher,
Pergament wurde früher gerne wiederverwendet, weil es wertvoll und kostbar war.
Aber wie bitte, kann ein Buch in einer Bibliothek verschwinden? Ja, wir kennen
das…Unibibliothek…..kaum hat einmal jemand das Buch aus dem Regal genommen und
an einen falschen Platz gestellt, schon ist es verschwunden. Aber das hier ist
die Domstiftsbibliothek Naumburg, hier kann man nicht einfach aus- und eingehen
und Bücher verstecken. Hier lagern Schätze, die man, wenn überhaupt nur mit weißen
Handschuhen anfassen darf, wenn sie denn mal aus ihrer
luftfeuchtekontrollierten Glasvitrine herausgenommen werden. Und es liegt auch
nicht erst seit gestern da.
Was
ist da passiert? Chaotische Lagerwirtschaft?
Das
hier ist chaotische Lagerwirtschaft:
Da
ist jedes Buch einfach da reingestellt worden, wo noch Platz war.
Oder
das hier:
Ich
hab in meinem Schrank die Bücher nach der Größe sortiert.
Aber
ich find in meinem Schrank alles wieder und die Mitarbeiter bei dem Versandhändler auch.
Anfangs
hört sich das Ganze nach einer klassischen Sommerlochnachricht an
Buch in Bibliothek gefunden
Doch
jetzt wurde es Stück für Stück zum altgermanistischen Krimi.
800 Jahre altes Handschrift-Fragment eines mittelalterlichen Buches entdeckt
Dieses
Beispiel zeigt und wieder einmal, wie sehr ein Titel oder eine Überschrift einen Artikel ausmacht. Der schönste Artikel ist nichts ohne eine überragende Überschrift, die den Inhalt prägnant zusammenfasst.
Bildnachweise:
Dendera
Temple, Egypt (Bild von Bernard Gagnon) http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/5/52/Dendera_Temple.jpg
Stadtbibliothek
Flensburg (Bild von Soenke Rahn) http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/f/fa/Alte_Stadtb%C3%BCcherei%2C_B%C3%BCcherregale_%28Flensburg_2002%29.JPG
Universitätsbibliothek
Graz, Österreich (Bild von Dr. Marcus Gossler) http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/a/a7/Library_gallery.jpg/800px-Library_gallery.jpg
Wolfram
von Eschenbach: Parzival (Parzival und Condviramur) Handschrift aus der
Werkstatt von Diebold Lauber, Hagenau (15. Jahrhundert) Heidelberg, Cod. Palm.
germ. 339, 135r: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/b/ba/Parzival.Lauber.jpg/398px-Parzival.Lauber.jpg
Universitätsbibliothek
Heidelberg, Cod. Pal. germ. 339, I. Buch, Blatt 6r - Spätmittelalterliche
Bilderhandschriften aus der Bibliotheca Palatina - digital, Kooperationsprojekt
der Universitätsbibliothek und des Kunsthistorischen Instituts der Universität
Heidelberg. Wolfram von Eschenbach, Parzival, Beginn Prolog ''Wolfram von
Eschenbach, Parzival'' (Handschrift), Hagenau, Werkstatt Diebold Lauber, um
1443-1446, Cod. Pal. germ. 339, I. Buch, Blatt 6r: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/e/e2/Wolfram_Parzival_Prolog_cpg339.jpg
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