Freitag, 8. März 2024

Ich bin dann mal online

Während irgendwo in Brandenburg ein Handwerker in rasender Geschwindigkeit von 4 Minuten die Stromrechnung als PDF herunterlädt, lese ich in einer Online-Umfrage die Frage: "Wie viele Stunden am Tag sind Sie online?" und frage mich was die Frage eigentlich bedeutet.

Gerade mal 91 Jahre dauerte es von Beginn der Elektrifizierung (1878) bis zur Erfindung des Internets (1969). Und schon 22 Jahre später war das Internet aus den Kinderschuhen rausgewachsen (1991) und wurde weltweit verfügbar. Acht Jahre später (1999) schaltete die Telekom die ersten DSL-Anschlüsse für Privatkunden frei, Internet auf dem Handy gab es bereits seit 2001 und ab 2003 entstand mit Social Media das Web 2.0.


 Während in Großstädten fast überall mindestens drei Balken verfügbar sind, erwischt man auf dem Land häufig nur E-Netz oder sitzt gleich im Funkloch fest. Und auch die Kabelanschlüsse laufen in ländlichen Gefilden meist nur mit Modemgeschwindigkeit. Das ist nur 22 Jahre später. Also ungefähr von der Mondlandung bis zum Mauerfall.

Spätestens seit dem Jahrtausendwechsel verbringen immer mehr Menschen immer mehr Zeit in virtuellen Foren, digitalen sozialen Netzwerken, Online-Spielewelten und auf Videoplattformen. Und auch beruflich hat die Arbeit online - also mithilfe des Internets (nachschlagen), am Internet (Inhalte erstellen, Programmieren) oder in der Cloud (Netzwerkdatenbanken) - rasant zugenommen und der Computer ist aus der Arbeitswelt  jeglicher Gewerbe nicht mehr wegzudenken. Selbst in der Landwirtschaft wird digitalisiert. Mit unseren Smartphones sind wir quasi dauerverbunden mit dem ominösen Äther.

Online bin ich genau genommen 16 Stunden am Tag, den Rest schlafe ich oder bin im Harz wandern.

Wie kann man diese Frage in Umfragen also allen Ernstes immer wieder stellen? Für welche Zielgruppe sind diese Umfragen konzipiert? Menschen, die ihre AOL-CD in den Rechner einlegen und sich dann per Modem einwählen wobei pro Minute abgerechnet wird?

Online sein ist also gar kein besonderer Zustand, sondern Teil unseres Lebens. Das Internet ist also weder rechtsfreier Raum noch Parallelwelt, es gehört quasi zur Familie. Es wird Zeit das "Online-Sein" neu zu definieren.

Ich als Individuum befinde mich nicht IN einer digitalen Welt, bin also offline, nicht online, existent. Nur weil ich permanenten Zugang zu Onlinemedien habe, bedeutet das nicht, dass sich mein Körper in dieser Welt befindet. Faktisch bin ich selbst nie online. Vielleicht in einer fernen Zukunft mal. Bis dahin bin ich einfach nur Nutzer digitaler Dienste, die mir über für Browser und Apps programmierte Schnittstellen durch Konzerne zur Verfügung gestellt werden. Als Gegenleistung für all diese kostenlosen Dienste werden meine Daten gesammelt, analysiert und vermarktet. Das Internet präsentiert sich mir wie eine wandelnde Litfaßsäule.

Wir sind nicht online, wir sind digital

Das ständige Präsentsein im digitalen Kosmos hat auch seine Schattenseiten. Zahlreiche Studien belegen, dass das permanente Mithalten-wollen, das permanente Sich-selbst-präsentieren, das permanente Bestätigung-suchen Menschen krank macht. Depressiv. Ausgebrannt. Müde.

Menschen, die in der Social-Media-Hölle ihr täglich Brot verdienen, gönnen sich nicht selten eine digitale Auszeit. Digital Detox ist der neueste Trend. Es gehört zum neuen Lifestyle das Internet bewusst auszuschalten, die Empfangsgeräte bewusst beiseite zu legen, nichts zu veröffentlichen, nicht mit der Followerschaft zu interagieren, nicht die Hochglanzfotos anderer zu konsumieren. Man nimmt sich selbst bewusst heraus aus der gewohnten Welt, um mehr Zeit für andere Dinge zu haben: Familie, Freunde, Gespräche von Angesicht zu Angesicht, Natur, Sport, einfach zum Leben.

Verbinden wir also unser "Online-Sein" schon so sehr mit Stress und Arbeit, dass wir dessen überdrüssig geworden sind und nach der "guten alten Zeit" zurücksehnen? Nach nur 20 Jahren? Nein!

Wir möchten nur die Wahl haben wann wir die Möglichkeit des Zugangs zum kollektiven Wissen der Menschheit nutzen wollen und wann nicht. Auch wenn wir nur den Routenplaner von Google Maps nutzen und gerade mal nicht Instagram und Twitter - dennoch sind wir permanent online. Und daran etwas ändern wird nur ein Sonnensturm, ein Funkloch im Handynetz oder der Ausschaltknopf am Telefon bzw. der Kippschalter an der Steckerleis...

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