Deutschland
kennt derzeit nur ein Thema: Flüchtlinge.
Ich
habe dieser Tage viel gesehen und beobachtet, mit einigen Menschen gesprochen
und die Nachrichten verfolgt und möchte ein paar Worte zu dem Thema loswerden,
denn es gibt ein paar Dinge, die scheinbar niemandem auffallen.
Flüchtlinge sind Menschen, die in ihrem
Heimatland bedroht werden, bedroht von Krieg
und Tod, bedroht von Hetze, Verfolgung und Folter,
bedroht von Krankheit, Hunger und
Elend. Große Mühen und tausende Kilometer liegen hinter ihnen, wenn sie
Deutschland müde und abgemattet erreichen.
Schließe die Augen und stell dir vor, du bist einer dieser Flüchtlinge.
Was
trieb dich an zur Flucht ins Ungewisse? Was brachte dich dazu dein geliebtes
Heimatland, deine Familie und deine Freunde zu verlassen?
Alle
Häuser ringsum sind zerbombt, dein Haus wird das nächste sein. Deine
Arbeitsstelle, ein Krankenhaus am Stadtrand, wurde vor zwei Wochen getroffen,
alles ist zerstört.
Eine
Flucht ins Ungewisse. Du weißt, du
kommst nie wieder zurück. Dein Weg wird lang und beschwerlich werden, du
hast kein Auto, bist zu Fuß, du kannst nicht allzu viel mitnehmen und musst
außerdem noch deine zwei Jahre alte Tochter tragen. Was nimmst du mit?
Was nimmst du mit?
Schau
dir deine Wohnung noch einmal an, dein Zimmer mit all den Dingen, die dir
wichtig sind: Das Bild deiner Frau, die vor einem halben Jahr erschossen wurde,
der hübsche Wandteppich von Großvater, der messingfarbene Samowar am Fenster,
der große Holztisch mit den hübschen Schnitzereien, den dein Großcousin gebaut
hat, das Bettchen und die Puppe deiner Tochter.
Was
nimmst du mit?
In Deutschland wird es derweil Herbst. Die
letzten Sonnenstrahlen wärmen die Stadt, strahlend blauer Himmel, ein Samstag
im Spätsommer.
Ein Mann sitzt vor einer Flüchtlingsunterkunft
und wartet. Er wohnt dort mit 10 anderen Männern in einem Raum, einige kommen
aus Syrien, andere aus Äthiopien, dem Iran, er redet wenig mit ihnen, nicht
viele sprechen seine Sprache. Manchmal spielen sie Karten. Die haben sie von
den deutschen Helfern bekommen. Er wartet. Seinen Asylantrag durfte er vor 4 Wochen stellen, bis er gewährt wird und
er anfangen kann Deutsch zu lernen, kann es dauern, hat man ihm gesagt, Wochen,
Monate, bis dahin kann er nichts tun, nur warten. Und er hat viel Zeit zum Nachdenken
über den Krieg in seinem Heimatland, die Gedanken gehen dahin zurück, was er
alles zurücklassen musste, um hierher zu kommen, um in Sicherheit zu sein. Und er denkt an seine Schwester, die noch
dort ist, sie blieb da, um den kranken Vater zu versorgen. Er soll Geld
schicken, wenn er Arbeit findet, hatte sie gesagt. Doch hier darf er nicht
arbeiten ohne Asyl, hier darf er nur warten.
Tausende Helfer versuchen derzeit die
Flüchtlingsströme im Land zu koordinieren, Menschen Schutz und Obdach zu
ermöglichen, sie mit Nahrung und Trinkwasser zu versorgen. Tausende Helfer in
christlichen Gemeinden, muslimischen Verbänden und Nichtregierungsorganisationen oder andere
religiöse und nichtreligiöse Gruppen kochen
Suppen, spenden Kleidung.
Dem
gegenüber stehen Menschen, „besorgte
Bürger“, die Angst vor diesen hilflosen und traumatisierten Menschen haben,
Angst um Arbeitsplätze, die sie selbst nicht annehmen wollen, Angst um ihren
Wohlstand mit Flachbild-TV in einer vom Staat bezahlten Wohnung, den sie
selbst als Armut wahrnehmen, bloß, weil
sie nicht genug Geld haben, einmal im Jahr 14 Tage Urlaub an der Coté d’Azur zu
machen, sich den teuren Blu-Ray-Player bei Saturn zu kaufen oder dem quengelnden
Kind das neue iPad.
Und
es gibt Menschen, die hilflos
danebenstehen, Menschen, die 8 bis 12 Stunden am Tag arbeiten, deren
Arbeitslohn gerade ausreicht, um die kleine völlig überteuerte Mietwohnung im
sozialen Brennpunktviertel bezahlen zu können und den zwei schulpflichtigen Kindern einmal am Tag eine warme
Mahlzeit auf den Tisch stellen zu können. Urlaub hatten sie zuletzt vor 6 oder
7 Jahren. Ihnen tun all die Flüchtlinge Leid, sie würden selbst gerne helfen,
haben aber weder die Zeit, weil sie den ganzen Tag arbeiten müssen, damit sie
grade so über die Runden kommen, noch genug Geld, um es zu spenden.
Dann
kommen die ängstlichen „besorgten Bürger“, die ihr Vaterland überfremdet sehen,
und schreiben erlogene Hetznachrichten
über den Wohlstand der Flüchtlinge, Krawall machende Flüchtlinge, Müll hinterlassende
Flüchtlinge und der arme viel-arbeitende Mensch, der kaum seine Familie
ernähren kann, bekommt Wut. Wieso
geht es denen besser als mir, wo ich doch jeden Tag arbeiten gehe? Das ist die
Taktik, die dahinter steckt hinter diesen Hetzartikeln.
Man will eine breite Front gegen Flüchtlinge in der Bevölkerung schaffen. Und
während der gewaltbereite „besorgte Bürger“ schon mal die Benzinkanister für
heute Abend fertig macht, die Brandbeschleuniger
danebenlegt, bekommt der normale Mensch von nebenan Angst vor hilflosen
Flüchtlingen, die alles verloren haben. Angst, die bewusst geschürt wird, Wut,
die bewusst geschürt wird.
Es
ist wichtig gegen solche Hetze auf die Straße zu gehen, es ist wichtig
Flüchtlingen, die alles verloren haben, zu helfen, es ist wichtig, die Schwachen
zu unterstützen. Vor allem aber ist es wichtig zu reden und aufeinander zuzugehen. Ein Flüchtling, der seine Kultur
nach Deutschland bringt, bereichert unser Land, er kann uns helfen an Stellen,
wo Fachkräftemangel herrscht diesen zu beheben. Um einen traumatisierten Menschen allerdings zu integrieren in unsere
Gesellschaft, dafür zu sorgen, dass er sich hier wohl fühlt, dafür muss man auf
ihn zugehen, ihn in die bestehende Gesellschaft aufnehmen.
Es
bringt wenig, Menschen, die einen Marathon von 170 Kilometern hinter sich
haben, jubelnd im Spalier zu empfangen, wie Tour de France Sieger. Welchen Eindruck
gewinnt der flüchtende Mensch von einem solchen Empfang?
Ihr
wollt, dass ich herkomme, ihr freut euch, dass ich hier bin, warum habt ihr mir
dann nicht geholfen her zu kommen, als ich eure Hilfe brauchte? Warum muss ich
überhaupt flüchten? Warum helft ihr mir und meinem Land nicht den Krieg zu
beenden, dann hätte ich gar nicht zu flüchten brauchen? Ihr jubelt mir zu, wenn
ich ankomme und dann, die Wochen und Monate danach? Da interessiere ich euch nicht
mehr. Niemand lädt mich zum Abendessen ein, niemand spielt mit meinen Kindern.
Essen
und Kleidung spenden ist wichtig, aber Integration
geht anders.
Und
alle die, die wollen, dass erst dem eigenen Volk geholfen wird und dann anderen, mögen bitte daran denken,
dass auch Deutsche einmal Flüchtlinge waren und aus Niederschlesien und dem
heutigen Tschechien nach Deutschland kamen. Der Krieg war zu Ende, die Häuser ausgebombt,
die Menschen wurden vertrieben, ganze Familien wurden auf dem Flüchtlingstreck aus dem Osten im
bitteren Winter ausgelöscht. Die, die ankamen wurden aufgenommen, obwohl
niemand etwas hatte. Wenn Menschen sich auf den Weg machen, alles hinter sich zu
lassen, müssen sie gute Gründe
haben, niemand flüchtet freiwillig.
Und wenn du wirklich deine hochgelobte „abendländische Kultur“ schützen willst,
lieber „besorgter Bürger“, dann lebe sie doch und zeige christliche Nächstenliebe dem Schwächsten und den Leidtragenden
gegenüber, statt Hass und Egoismus in die Welt zu tragen und Angst zu säen.
Niemand braucht angezündete Häuser, Menschen brauchen ein Obdach und sie
wollen, dass der Krieg und Hass aufhört. Lerne deinen neuen Nachbarn erst mal
kennen, bevor zu ihn verurteilst. Vielleicht ist er es, der dir ein, zwei Jahre
später auf dem OP-Tisch das Leben retten wird.
Bildnachweise
(heute mal in groß): https://www.facebook.com/photo.php?fbid=449729838553178&set=a.449729828553179.1073741933.100005484966497&type=1
by Jaroslav Jindra (guckt euch das Album an!!!!!)
Zum Weiterlesen:
- Überall Extremisten – Deutschlands neue Teilung
- Wir sind nicht Legida oder Pegida. Leipzig ist bunt und weltoffen.
Das Märchen vom Auszug aller Ausländer (von Helmut Wöllenstein)
Vor, zurück, zur Seite, ran und eins… Politische Zyklen
Krieg und Frieden – 3 Beispiele für den Frieden unter den Völkern
- Grenzen sind nur Linien im Sand
Im Web gefunden, zum Weiterlesen verlinkt:
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